Ich erhielt als Musikjournalistin mit Anfang 20 die Gelegenheit dazu, einen der musikalischen Helden meiner Jugend vor einem Konzert seiner Band zu interviewen. Er war knappe 10 Jahre älter als ich. Ich war zu dieser Zeit noch sehr unsicher und dachte, dass mich nie ein Mann ernsthaft mögen könnte. Deshalb schmeichelte es mir zunächst, dass er mich des Öfteren auch während des anschließenden Konzerts eindringlich ansah und für ein gemeinsames Foto an der Taille anfasste, als kannten wir uns schon deutlich länger. Nach dem Konzert addete er mich in den sozialen Medien und schrieb mir nachts aus heiterem Himmel, wie heiß er mich doch findet. Am Tag darauf entschuldige er sich für seine betrunkenen Worte, sagte aber auch, dass er immerhin die Wahrheit geschrieben habe. Da ich selten solche Komplimente bekam, nahm ich es ihm nicht übel. Es war die Abschiedstour seiner Band, weshalb ich noch einen weiteren Konzertbesuch plante. In der Zeit bis dahin hielten wir ein wenig Kontakt. Dabei machte er die eine oder seltsame Bemerkung. Ich trinke zum Beispiel keinen Alkohol, kann unter dem Einfluss von guter Stimmung, zuckerhaltigen Getränken und Koffein aber auch ziemlich aufdrehen. Daher hielt er es für eine gute Idee, mich unbedingt „mit Limonade abfüllen zu wollen“, um das erleben zu können. Etwas später fantasierte er schon davon, sich ein Hotelzimmer für uns beide für einen Tourstopp zu buchen und „ganz brav kuschelnd“ neben mir einzuschlafen. Mir wurde es langsam unbehaglich, aber ich dachte mir, der Typ hat halt gerade eine schwere Zeit mit dem Ende seiner Band, der wird das nur so dahinsagen und nicht so meinen. Wäre nicht das erste Mal in meinem Leben, dass männliche Musiker mich für Promo und Kontakte ein bisschen umgarnen. Es kam der Tag des weiteren Konzerts. Ich fuhr mit einer männlichen Begleitung dort hin. An diesem Abend beobachtete ich das Verhalten des Musikers noch genauer als zuvor. Er machte auf der Bühne vor dem gesamten Publikum Anspielungen auf unsere Konversationen, gab mir nach der Show einen Kuss auf die Wange. Meine männliche Begleitung nahm alles nur grinsend von der Seite wahr. Als wir dann nach Hause fuhren, schrieb mir der Musiker erneut. Er fand schade, dass ich nicht länger blieb, umgarnte mich wieder. Ich schrieb ihm, dass er mit dem Alkohol aufpassen müsse, damit er nicht wieder seltsame Dinge von sich gab. Er entgegnete mir, er sei ganz klar im Kopf. Was darauf folgte, überschritt meine Grenzen endgültig. Ich rutschte meinen Autositz Nachricht für Nachricht tiefer nach unten, als er mir mitteilte, welche Fetischfantasien er sich konkret mit mir ausmale. Ich habe wirklich nichts gegen Menschen mit Fetischen und Fetischfantasien, aber man sollte doch bitte vorher sichergehen, ob man mit der Äußerung dieser nicht die Grenzen des Gegenübers überschreitet. Er schrieb noch davon, wie toll er es fände, dass ich stets die Kontrolle behalten möchte und er daher wisse, dass er sie bei mir abgeben könne. Obwohl es mir klar zu viel war, fürchtete ich schlechte Reputation im Business und schrieb ihm nett, dass ich nicht die richtige Ansprechpartnerin dafür sei, aber nichts gegen einen lockeren Kontakt ohne direkt sexuelle Absichten hätte. Noch in besagter Nacht erzählte ich meiner männlichen Begleitung alles und dass es mir damit überhaupt nicht gut ging. Nur wenige Zeit später präsentierte er mir stolz sein neues Tattoo zu einem Song des verbal übergriffigen Musikers. Als ich einem befreundeten Musiker etwas später von meinem Erlebnis berichtete, entgegnete dieser mir direkt, dass er von einer weiteren Person wisse, bei der besagter Typ es „weiter geschafft“ habe als bei mir. Bis heute mache ich mir Vorwürfe dafür, dass ich selbst bei einer so klaren Grenzüberschreitung nicht noch deutlicher wurde…